Mittendrin statt abgeschottet – Interview mit Chris Siedler

von | Sep 6, 2023 | Hohenfried

Der Hasenkönig mit seiner Familie

Vorstand Chris Siedler will nach Monaten der Krise das Image von Haus Hohenfried aufbessern.

Bayerisch Gmain. Nach Monaten und Jahren geprägt von Unruhen, Missständen und Anzeigen geht das Haus Hohenfried e.V in Bayerisch Gmain mehr und mehr den Schritt in die Öffentlichkeit. Seit Februar ist Chris H. Siedler neuer Vorstand der Einrichtung. Der 59-Jährige ist gelernter Bankkaufmann, war acht Jahre lang in leitenden Funktionen in der Wirtschaft tätig und hat sich vor über 20 Jahren als Unternehmenssanierer selbstständig gemacht. Im Oktober 2022 ist der als neuer Finanzleiter, im November zusätzlich als Werkstattleiter zum Haus Hohenfried gekommen. Seit Februar ist er hauptamtlicher Vorstand der Einrichtung. Für die Betreuung der rund 200 Bewohner beschäftigt er derzeit etwas 280 Mitarbeiter. Tendenz steigend. Im Gespräch mit der Heimatzeitung vor dem neuen Hofladen räumt er mit der Vergangenheit des „Dorfs im Dorf“ auf und stellt die drei Säulen seines Plans für die Zukunft der Behinderteneinrichtung vor.

Reichenhaller Tagblatt

Herr Siedler, Berichte über Krise, Missstände, Abberufung vom Vorstand, Personalmangel, Auflagen machten über Haus Hohenfried im Jahr 2022 die Runde. Wie gehen Sie mit den Vorwürfen vom vergangenen Jahr um?

Chris Siedler

Die Vorwürfe gegen den alten Vorstand sind juristisch erledigt, die Ermittlungen eingestellt. Ich bin ja auch erst danach zu Haus Hohenfried gekommen. Es gibt aber immer noch Anschuldigungen. Ich bin mir für kein Gespräch zu schade. Mauern und Abtauchen gibt es bei mir nicht. Die Vorwürfe werden geprüft und ihnen wird im Zweifel nachgegangen. Die Heimaufsicht, also die Regierung von Oberbayern und das Landratsamt BGL, prüft bei Anzeigen zu angeblichen Missständen. Regelmäßig stelle ich aber auch strafrechtliche Anzeigen wegen Verleumdung und Übler Nachrede. Ich stehe für eine neue Richtung. Der Unfriede ist Vergangenheit, ich will nach vorne blicken. Der Interimsvorstand Martin Rickert hat dabei einen guten Anfang gemacht.

Reichenhaller Tagblatt

Inwiefern?

Chris Siedler

Er hat vor allem für Beruhigung gesorgt. Ich habe eine klare Vision und klare Ziele.

Reichenhaller Tagblatt

Die wären?

Chris Siedler

Ich möchte mit meinem Leitungsteam neues Personal rekrutieren, das Haus wirtschaftlich stabilisieren und wieder ein positives Image aufbauen. Mit den Führungskräften will ich an einem Wochenende Vision, Mission und Leitbild unter der Berücksichtigung der Anthroposophie erarbeiten und zeitgemäß weiterentwickeln.

Reichenhaller Tagblatt

Der was?

Chris Siedler

Ein schwieriges Wort, inhaltlich aber ganz einfach. Die Anthroposophie ist Grundlage unserer heilpädagogischen Arbeit. Wir betrachten den ganzen Menschen als Einhat von Körper, Seele und Geist. Auf Basis der individuellen Lebensgeschichten fördern wir die Entwicklung jedes Bewohners nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Wir begegnen unseren Bewohnern mit Wertschätzung und gestalten so ein familiäres Miteinander.

Reichenhaller Tagblatt

Wie wollen Sie Ihre Ziele erreichen?

Chris Siedler

Dazu habe ich ein Modell mit drei Säulen entwickelt. Die erste Säule ist Offenheit. Hohenfried muss sich öffnen, um sich den positiven Ruf zu erarbeiten, den Hohenfried verdient. Die zweite Säule ist Landwirtschaft und Gärtnerei. Hohenfried hat 35 Hektar Fläche. Darunter sind 1200 Quadratmeter Fläche in beheizbaren Gewächshäusern. Seit 1. Juni ist eine Landwirtin eingestellt, im Winter soll ein Gärtner folgen. Aktuell geben wir über eine Millionen Euro pro Jahr für Lebensmittel aus. Da ist deutlich Potenzial zum Einsparen gegeben und es gibt dadurch neue Angebote für die Bewohner, wenn Hühner, Gänse oder Schafe auf dem Grund sind. Die dritte Säule ist die Umstellung auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dinest (TVöD), was schon seit Jahren geplant ist. Da sind wir mittendrin. Tolle Arbeit muss auch gerecht bezahlt werden. Für einige Mitarbeiter bedeutet das eine enorme Steigerung. Die ersten Vereinbarungen sind bereits unterschrieben, bis Ende des Jahres soll das insgesamt umgesetzt sein. Neue Mitarbeiter bekommen bereits das Gehalt nach dem TVöD.

Reichenhaller Tagblatt

Welche Schritte für eine Öffnung der Anlage haben Sie bereits angestoßen?

Chris Siedler

Der neue Hofladen, der Ende Juli eröffnet hat. Die meisten Feste sind öffentlich, viele Theateraufführungen können einfach so besucht werden. Auch das Bistro steht für alle offen. Der Bürgermeister von Bayerisch Gmain, Armin Wierer, ist mit Mitgliedern vom Gemeinderat schon da gewesen, erste Absprachen mit Reichenhalls Oberbürgermeister Dr. Christoph Lung gibt es auch schon. Zudem haben wir unter Johannes Kampfl die Öffentlichkeitsarbeit deutlich ausgebaut. Auch die neue Homepage ist seit Anfang Juni online. Das sind alles Puzzlestücke, die sich so langsam fügen. Die alte Bezeichnung „Dorf im Dorf“ ist zwar schön, steht aber auch für Abgrenzung. Vielleicht ist sie nicht mehr zeitgemäß. Ich sehe Haus Hohenfried mitten in der Gemeinde und im Sozialraum.

Reichenhaller Tagblatt

Wie ist denn die ganze Anlage eigentlich aufgebaut?

Chris Siedler

Haus Hohenfried besteht aus etwas 18 Gebäuden. Es gibt die Wohnbereiche für Kinder und Jugendliche und den für die Erwachsenen. Zudem gibt es noch die Johannesschule, in der nach der Waldorfpädagogik unterrichtet wird. Der neue Hofladen befindet sich direkt bei der Einfahrt in die Anlage. Weiter hinten im Gelände gibt es die verschiedenen Werkstätten für Holz, Keramik, Kerzen und Multifunktion und die Systemgastronomie LMV. Hinter dem Verwaltungsgebäude befindet sich die Gärtnerei, bevor die landwirtschaftlichen Flächen das Gelände abschließt.

Reichenhaller Tagblatt

Eine Umstellung auf den TVöD erfordert vor allem viel Geld. Wie soll das finanziert weerden bzw. wie finanziert sich die Einrichtung Hohenfried allgemein?

Chris Siedler

Die Finanzierung hängt vom Ursprung von den Bedürfnissen der Betreuten ab. In einem langwierigen Verfahren werden pro Betreutem und Tag Kostensätze ermittelt. Da die Einrichtung zur Eingliederungshilfe zählt ist die Finanzierung Aufgabe des Staates. Somit sind die Bezirke von Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz, oder auch das Lang Salzburg für die Finanzierung zuständig. Einmal pro Jahr wird insgesamt über die Gelder für Einrichtungen verhandelt.

Reichenhaller Tagblatt

Wegen zahlreicher Kündigungen mussten von fünf Kinder- und Jugendgruppen drei geschlossen werden. Wie sieht es denn aktuell aus?

Chris Siedler

Im vergangenen Jahr haben zahlreiche Mitarbeiter nahezu gleichzeitig gekündigt. Das war ein schwerer Schlag für das Haus. Wir sind dabei wieder eine dritte Gruppe für Kinder und Jugendliche zu öffnen. Dazu fehlen uns aber noch drei Fach- und Hilfskräfte.

Reichenhaller Tagblatt

Ist denn Bedarf für eine dritte Gruppe da?

Chris Siedler

Absolut! Der Bezirk Oberbayern als Ansprechpartner hat eine Warteliste von hilfebedürftigen Kindern. Daraus ermitteln wir gemeinsam mit Bezirk, Betreuten und deren gesetzlichen Betreuern die Möglichkeiten, die wir als Hohenfried bieten können. Nach einem Aufnahmeverfahren werden dann Kinder ausgewählt.

Reichenhaller Tagblatt

Was bedeutet „Aufnahmeprüfung“ in diesem Fall?

Chris Siedler

Es muss geschaut werden, ob es passt: die Gegebenheiten, Personal, Assistenzbedarf und die potenziellen Bewohner inklusive Eltern oder gesetzliche Betreuer.

Reichenhaller Tagblatt

Viele Einrichtungen haben Probleme an Personal zu kommen. Was ist da Ihre Strategie?

Chris Siedler

Wir zapfen alle Kanäle an, die sich bieten. Dabei haben wir vor allem die Balkanländer, Polen und Ungarn im Blick. Auch bieten wir ab dem Herbst ein Duales Studium in Kooperation mit der Hochschule International University (UI) an. Vor allem Soziale Arbeit ist dabei möglich. Die Studierenden arbeiten dann drei Tage pro Woche in der Einrichtung, zwei Tag sind sie beim Studium. Zusätzlich kann bei uns eine Ausbildung gemacht werden, etwas zum Heilerziehungspfleger oder in der Verwaltung.

Reichenhaller Tagblatt

Wie kommen Sie bei der Personalsuche voran?

Chris Siedler

Es ist allgemein schwierig neues Personal zu finden. Das negative Image macht uns am meisten zu schaffen. Aber vergangene Woche habe ich 15 neue Arbeitsverträge unterschrieben. Das ist ein guter Anfang.

Reichenhaller Tagblatt

Wie lange haben Sie denn vor, Vorstand im Haus Hohenfried zu bleiben?

Chris Siedler

Also erst einmal habe ich einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschrieben. Den würde ich gerne auch noch einmal verlängern. Für mich ist es ein Traum hier zu sein. Das Haus Hohenfried ist für mich eine Herzensangelegenheit.

Interview: Max Klapper

Reichenhaller Tagblatt
Aus dem Artikel „Mittendrin statt abgeschottet“
26.08.2023

Für weitere Informationen steht das Hohenfried-Team gerne Ihnen zur verfügung.

Chris H. Siedler

Vorstand

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