Die Jahresfeste besitzen für die Menschen in Hohenfried eine sehr wichtige Bedeutung, denn die Einrichtung arbeitet angelehnt an den Grundgedanken des anthroposophischen Menschenbildes. Diese Wissenschaft wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Rudolf Steiner begründet und wird als eine Wissenschaft zum Verständnis von Natur, Geist und menschlicher Entwicklung verstanden. Hier spielen die Feste im Jahreskreis eine sehr zentrale Rolle – so auch das Johanni-Fest.
Wenn der Hochsommer beginnt und die Sonne ihren Höchststand erreicht hat, dann zieht es auch die Hohenfrieder*innen hinaus in die Weite, in Wärme und Sonnenlicht. Mit allen Sinnen kann man die üppige Entfaltung der Natur erleben. In den alten vorchristlichen Mysterien versammelten sich die Menschen in der Hochsommerzeit, sie tanzten und feierten gemeinsam – wie auch die Menschen in Hohenfried.
Um Johanni ist die Zeit der längsten Tage und kürzesten Nächte. Am 24. Juni wird in Hohenfried der Johannistag gefeiert. Das tragende Bild der Johanniszeit ist – nach den Grundlagen der Anthroposophie – das Suchen und sich Bemühen um das Wahren der Mitte. Berge und Schluchten in der Natur sollen hier bildlich unsere Gefühlswelten wiederspiegeln – große Trauer und überschäumende Freude.
Das Johanni Fest ist auch ein Fest, bei dem schon wieder Abschied genommen wird. Bei dem man wieder mehr in sich geht. Der Höhepunkt des Jahres ist schon vorbei. Es geht wieder auf die Stille zu.
In Hohenfried verabschiedet der Kinder- und Jugendwohnbereich für gewöhnlich jedes Jahr während der Johannifeier die Jugendlichen, die die Schule abgeschlossen haben. Die Schulabgänger, die dann auch den Kinder- und Jugendwohnbereich verlassen, werden mit einer persönlichen Gabe und einem Spruch auf ihren zukünftigen Weg, verabschiedet.
Die Feierlichkeiten zu Johanni finden in Hohenfried mit den Bewohner*innen und den Betreuer*innen meist am Hohenfrieder Dorfplatz statt. Dort wird gemeinsam getanzt, gesungen und gegessen. Im Jahr 2021 musste beim Johanni-Fest in Hohenfried, aufgrund des Wetters, leider auf das Anzünden eines Feuers verzichtet werden. Die Feierlichkeiten wurden dann nach Innen verlegt und fanden im Hohenfrieder Festsaal statt. Das Gemeinschaftserlebnis bringt Zusammenhalt nach Hohenfried. Alle dürfen geben und nehmen, sich gegenseitig helfen. Das Johannifeuer verbildlicht nach anthroposophischem Gedanken Kraft, Macht, Größe der lebendigen Erdenseele. Alles dehnt sich aus, in alle Himmelsrichtungen. Alle Elemente sind in dieser Jahreszeit am Werke. Um das Feuer wird von den Hohenfrieder*innen ein Feuerspruch von J. W. von Goethe aufgesagt:
(Norden)
Ströme du, Luft und Licht,
Weg mir vom Angesicht!
Schürst du das Feuer nicht,
Bist du nichts wert.
Strömst du zum Herd herein,
Sollst du willkommen sein.
Wie sich´s gehört.
Dring nur herein ins Haus;
Willst hernach hinaus,
Bist du verzehrt.
(Westen)
Wasser, es fließe nur!
Fließet es von Natur
Felsenab durch die Flur,
Zieht es auf seine Spur
Menschen und Vieh.
Fische, sie wimmeln da
Vögel sie himmeln da,
Ihr´ist die Flut.
Die unbeständige,
Stürmisch lebendige,
Dass der Verständige
Manchmal sie bändige,
Finden wir gut.
(Osten)
Erde sie steht so fest!
Wie sie sich quälen lässt!
Wie man sie scharrt und plackt! Wie man sie ritzt und hackt!
Da soll´s heraus.
Furchen und Striemen ziehen Ihr auf den Rücken hin Knechte im Schweißbemühen;
Und wo nicht Blumen blühen;
Schilt man sie aus.
(Süden)
Zündet das Feuer an!
Feuer ist oben an.
Höchstes, er hat´s getan,
Der es geraubt.
Wer es entzündete,
Sich es verbündete
Schmiedete, ründete
Kronen dem Haupt.
Rasch nur zum Werk getan!
Feuer nun flammt´s heran,
Feuer schlägt oben an;
Sieht´s doch der Vater an,
Der es geraubt.
Der es entzündete,
Schmiedete, ründete
Kronen dem Haupt.“
Johannisgeschichten werden am Feuer vorgelesen und Johannislieder gesungen. Die Fülle der Natur wird bewusst erlebt. Zugleich ist Johanni der Abschied vom Licht – es geht wieder in die Dunkelheit hinein (Sonnenwende). Durch die Rituale, die Geschichten, die Ruhe und die feste Mitte der Betreuer*innen, wird Ordnung in diese Zeit gebracht. Johanni – ein ganz besonderes Fest zur Sommersonnenwende in Hohenfried.
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